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Welt am Draht - Metaverse mit Hindernissen

Was wären meine web3-Studien ohne Metaverse? Und was wäre das Metaverse ohne eines dieser mittlerweile ikonischen Headsets, mit denen man sich neue Dimensionen virtueller Realitäten erschließt?

Jetzt will ich es endlich wissen. Ein Sonderangebot vom Vorjahresmodell der HTC Vive Pro lockt mich weg vom Bildschirm hin in die unendlichen Weiten des… oh, so schnell geht das nicht. Zunächst das Kleingedruckte lesen - kann ich so ein Headset überhaupt betreiben? Ich bin kein Computer-Gamer, daher sind mir die Leistungskennzahlen dieses Bereichs nicht geläufig. Also erstmal GPU-Lingo lernen!

Die Hardwareanforderungen sind nicht ohne, mit meinem Business-Laptop am eher oberen Rand der Leistungsfähigkeit (ebenfalls Vorjahr) komme ich offiziell nicht weiter. “NVIDIA GeForce GTX 1070/Quadro P5000 or better” heißt es in den Specs. GTX - Sind das nicht diese Monstersteckkarten mit riesigen, von LEDs erleuchteten Ventilatoren? Sicher hab ich sowas nicht in meinem Thinkpad. Egal, das ignoriere ich erstmal, meine NVIDIA Quadro T2000 im mobilen Max-Q-Design soll erstmal zeigen was sie kann, auch wenn sie im Benchmark 50% unter der Mindestmarke liegt. Zumindest die CPU ist ausreichend groß und Hauptspeicher habe ich auch genug.

Nach dem “Unboxing”, wie man das Erstauspacken von den neuen Spielzeugen heute so schön nennt, kommt die erste Ernüchterung. “Schließe die Linkbox an den Displayport der Grafikkarte an”. Aha. Hab ich nicht. Und jetzt? Muss ich mir jetzt doch noch einen Gamer-PC kaufen? Amazon weiß Rat und verkauft mir einen USB-C-Adapter, der freundlicherweise noch zum Wochenende eintrifft. Unboxing 2 kann beginnen.

Mein Metaverse für Anfänger

Learning 1 - Besorgt euch genug Steckdosenleisten

Ich hatte es beim ersten Auspacken schon gesehen - 5 Netzteile und ziemlich viele Kabel sind in der Kiste. Zusammen mit den nun notwendigen Verlängerungskabeln ergibt sich ein ordentlicher Kupferhaufen in meinem Zimmer. “Welt am Draht” (visionärer Fassbinder-Metaverse-Film aus den 1970ern) gewinnt so eine neue Facette.

Learning 2 - VR ist raumgreifend

Die zwei so genannten Basisstationen sind ein wichtiger Bestandteil des VR-Systems. Sie spannen, diagonal gegenüber positioniert, ein Rechteck auf, das die Bewegungsfläche eingrenzt. Mit zwei Stationen sind es ca 6 * 6 m². Das nennt sich Lighthouse Tracking - die Basisstationen senden einen schwenkenden unsichtbaren Laserstrahl aus, außerdem ein gepulstes Infrarotsignal. Die Empfänger (Controller und Headset) Zählen die Impulse in der Zeit zwischen zwei empfangenen Laserstrahlen und wissen dann sehr genau, wo sie im Raum sind und können diese Informationen dem Computer mitteilen (ich wüsste das nicht, aber es funktioniert).

Das ist das aufwändigere Trackingsystem - die einfacheren Consumersysteme verwenden Inside-Out-Tracking, bei dem Kameras in bewegten Komponenten die Umgebung aufnehmen und sich an markanten Punkten orientieren. Nicht so genau wie Lighthouse Tracking, aber wohl noch gut genug für’s Schwingen des Laserschwerts.

“Immersive Experience” heißt das im Marketingsprech. Erst wenn man überlegt, wie man die Basistationen nun in den Ecken des Raums in 2 Metern Höhe platziert, ohne sich durch Stative und Kabel das gesamte Wohnklima zu ruinieren, wird einem klar, dass es auch eine “Intrusive Experience” ist. VR in Bewegung braucht Platz und Ausrüstung im Echtraum.

Learning 3 - Bereitet euch auf blaue Flecken vor

Den Raum gibt’s hier gerade nicht für solche Experimente - ich verziehe mich in meine Nerd-Höhle und versuche, 1*2 Quadratmeter freizuräumen. Das gelingt so halbwegs, aber ich werde mir später immer wieder an irgendeiner Kante oder Ecke blaue Flecken holen. Sehr immersive. Man kann so ein VR Headset auch im Sitzen betreiben, aber hinter den großen Arbeitsbildschirmen ist die Sichtverbindung zu den Basisstationen auch nicht so optimal. Für erste Versuche reicht’s aber.

Learning 4 - Hardware muss

Ich komme durch die Installationsprozesse nicht ohne Warnung - auch die Setup-Software hat meine unterdimensionierte Grafikkarte bemerkt, verweigert aber nicht die weitere Installation. Die Link Box azeptiert meinen DisplayPort Adapter, die Controller -meine digitalen Hände- kann ich koppeln und alles ist hardwaremäßig bereit. Die Basisstationen summen vor sich hin -anscheinend ein Lüfter für den Laser- und überall blinkt es erst blau, dann grün.

Jetzt noch fleißig Accounts bei Steam und bei HTC anlegen, den Gutschein für den Marketplace, der hier Viveport heißt,einlösen und endlich das Headset aufsetzen und starten.

Der erste Eindruck ist eher verhalten. Das Headset sitzt gut, aber die Optik ist nicht optimal. Offensichtlich rechnet die Software bei schwacher Hardware mit verringerter Auflösung, um noch ruckelfreie Bewegungen hinzubekommen. Das Metaverse ist nicht so knackig scharf wie ich es gerne hätte. Der Raum Eindruck ist ok und die Bewegungen stimmen, aber kleinere Texte sind dann teils eher verschwommen und nicht so leicht zu lesen. Damit muss ich nun erst einmal leben, mein Spielbudget ist ausgeschöpft.

Die ersten Apps laufen dann schon besser oder ich gewöhne mich an die leicht verschwommene Aussicht. Ich schaue in ein paar virtuelle Museen, nicht viel anders als echte, und versuche mich mit dem einen oder anderen 3D Spiel. Ganz nett, aber ein richtiges Hochgefühl stellt sich noch nicht ein.

Learning 5 - Ohne Akku keine Hände

Nach einiger Zeit verschwindet erst eine Hand im Spiel, dann die andere. Was ist los? Die Controller lassen sich neu koppeln, gehen aber gleich wieder aus. Die zu Beginn halb geladenen Akkus sind anscheinend schon leer. 5-6 Stunden sollen sie voll geladen halten, das muss man beim Einsatz bedenken. Leider sind die Akkus fest verbaut, es gibt also Zwangspausen.

Learning 6 - Denke den Raum neu

Eine App versöhnt mich dann doch mit meinem Neuerwerb - Googles Tilt Brush ist für mich die Killer App. Ein VR Malprogramm! Mit den Controllern kann ich wie bei Photoshop Farben, Pinsel und Effekte auswählen und im Raum malen. 3D Graffiti sozusagen. Hier kann ich mich noch eine Weile austoben. Der Umgang mit den Werkzeugen im Raum will erst geübt werden, aber das ist eine App, die tatsächlich einmal neue Dimensionen eröffnet. Sicher gibt es weitere Anwendungen dieser Art, die ich in der nächsten Zeit zu erforschen hoffe.

(Zwischen-)Fazit

Um es kurz zu sagen - überschwängliche Begeisterung stellt sich bei mir (noch) nicht ein. Ein sehr hoher Hardware-Aufwand führt zu einem Ergebnis, das ich von der Experience her eher mittelmäßig finde. Vielleicht liegt es an meinem Setup, aber wenn ich mir über Nachhaltigkeit Gedanken mache, ist so eine Ausrüstung deutlich überdimensioniert.

Zudem ist mir die Erfahrung teilweise schon “zu immersiv” - die wichtigsten Sinne werden kurzgeschlossen und durch digitale Simulation ersetzt, ohne dass sich eine neue Dimension öffnet, von der Mal-App einmal abgesehen. Auch das Kabel vom Headset und der streng definierte Raum schränken ein. Vermutlich geht da noch mehr, vielleicht ist die Technologie und auch der Softwaremarkt noch nicht so weit.

Augmented Technologien, die man mit Handy oder Tablet nutzt, sind da aus meiner Sicht schon deutlich weiter in der Alltagsrelevanz des Lernens - weniger Aufand, bessere Integration in die Umwelt und weiterhin mögliche direkte Interaktion mit anderen.

Für mich bleibt dieser Teil des Metaversums erst einmal eine sehr spezielle Nische, die es noch zu erkunden und zu verbessern gilt - insbesondere zu Lernzwecken für jüngere Lernende.

(Title hero image based on original artwork of PenSmasher from NounProject.com (Male Metaversist) and Victoruler from NounProject.com (Female Metaversist))

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